Genozid

Am 3. August 2014 griff der „Islamische Staat“ (IS) die Eziden in ihrer Heimat, im Nordirak, mit der Absicht der totalen Vernichtung an. Eine beispiellose systematische und bestialische Tötung von ezidischen Männern fand statt, Frauen wurden versklavt und Kinder von ihren Müttern getrennt. Friedhöfe und  Heilige Stätten wurden verwüstet,  Häuser zerstört  und die  Habseligkeiten der Bewohner geplündert.

In der Nacht vom  2. zum  3.  August 2014 griff die Terorrgruppe IS Shengal (Shingal) an ; dabei wurde sie von einigen sunnitisch-kurdischen  und arabischen Stämmen, die seit Dekaden friedlich mit den Eziden zusammengelebt hatten, unterstützt.

Die kurdischen Sicherheitskräfte und die Peschmerga (etwa 12.000 – 16.000 Kämpfer) überließen  die Eziden zu deren  Entsetzen und wider deren  Erwartungen schutzlos Ihrem Schicksal. Die Sicherheitskräfte  leisteten hier, im Shengal, weit weniger  Widerstand gegen den IS als in anderen Gebieten.  Zudem stellten sie auch die Menschen und Zivilisten nicht unter den gleichen Schutz  wie in anderen von Kurden kontrollierten Regionen und stellten  ihnen nicht dieselben Hilfen zur Verfügung.

Das Ergebnis der Angriffe war eine der schlimmsten humanitären Tragödien des 21. Jahrhunderts, die bis heute andauert. Mehr als 5000 Zivilisten wurden getötet. Im Gegensatz zu anderen religiösen Minderheiten im Irak wurden Eziden nur die Möglichkeit gegeben, zum Islam zu konvertieren oder zu sterben. Eine gezielte barbarische Exekution ezidischer Männer und Jungen ab 14 Jahren fand statt, einschließlich des dokumentierten Massakers in Kocho. In Kocho wurden 418 Jungen und Männer enthauptet, erschossen oder bei lebendigem Leib begraben [1]. Auch wurden hunderte ältere, körperlich und geistig Behinderte teilweise bei lebendigem Leib verbrannt.  In einem ezidischen Tempel in Shengal wurden 15 ältere und behinderte Menschen dem Tod im Feuer übergeben. Hunderte ezidische Kinder starben auf der Flucht oder auf dem Berg Shengal, auf den sie geflohen waren; für mehr als sieben Tage vegetierten sie ohne Wasser und Nahrung bei brennender Hitze dahin oder starben bereits, bevor ein Sicherheitkorridor zu ihrer Rettung geschaffen wurde. Beweise für die Massaker sind die mehr als 10 Massengräber in den befreiten Gebieten auf der Nordseite des Shingal-Gebirges. Weitere verheerende Massengräber werden auf der noch besetzten Südseite des Gebirges erwartet. Zusätzlich zu den systematischen Tötungen von über 5000 Eziden sind noch zwischen 5000 bis 7000 Eziden, meist Frauen und Kinder,  versklavt. Ezidische Mädchen und Frauen im Alter von über 6 Jahren wurden von ihren Familien getrennt und unter den radikalen Gruppenmitgliedern und ihren Anhängern als Sexsklavinnen, Konkubinen und „Kriegsbeute“ gehandelt. Bis heute konnten sich etwa 700 bis 900 Kinder Mädchen, Frauen und älteren Menschen aus der Gefangenschaft des IS befreien oder wurden von Mittelsmännern freigekauft. Die überwiegende Mehrheit der Befreiten  war täglicher sexueller Gewalt und mehrfach wiederholten Vergewaltigungen und weiterer körperlicher Misshandlung ausgesetzt. Zurückgekehrte Ezidinnen im Alter von 9 Jahren fanden sich schwanger in den Flüchtlingslagern wieder. Frauen und Kinder wurden wie Vieh auf Sklavenmärkten für 5-10 Dollar gehandelt. Hunderte ezidische Mädchen und Frauen nahmen  sich in der IS Gefangenschaft oder nach dem Entkommen  aufgrund der schweren psychischen und physischen Misshandlungen das Leben.

Tausende ezidische Kinder wurden durch den IS von ihren Müttern getrennt und in IS-Trainingslager in Raqqa, Shadadiya, Dir al Zoor und andere Orten innerhalb der von dem Islamischen Staat kontrollierten Gebiete in Syrien und dem Irak gebracht. In diesen Lagern müssen die Kinder die islamischen Lehren durchlaufen und  sie werden radikalisiert. Das Ziel ist es, die Kinder als zukünftige Munition für den Aufbau eines Kalifats zu verwenden.

In ihrer Online Ausgabe von „Dabiq Journal“ [2] wird die Ausführung der systematischen Vernichtung der Eziden derart „begründet“ : Die Existenz der Eziden bis zum heutigen Tag sei eine „Schande der islamischen Geschichte und wird jedem Moslem am jüngsten Tag angelastet“ [2], die schnell korrigierten werden müsse. Die vielen Massaker in der Vergangenheit und in der Gegenwart seien nötig , da die Eziden  angeblich „Mushrkeen oder Ungläubige“ [2] seien.

Mehr als 80 Prozent der ezidischen Bevölkerung im Irak (rund 500.000) wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Ihre Häuser wurden geplündert und dem Erdboden gleich gemacht. Bis auf Ihre Kleider am Leib blieb ihnen nichts.

Die UN Menschenrechtskommission kam aufgrund ihrer Ermittlungen in ihrem Bericht vom März 2015 zu dem  Ergebnis, dass die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den  Eziden den Status eines Völkermords (Genozids) erreicht haben [3]. Andere Berichte von Human Rights Watch, Amnesty International und anderen internationalen NGOs unterstützen die Aussagen in unserm Brief [1, 4].

Die Definition eines Genozids in den Artikeln 6 und 7 der Römischen Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs beschreibt Grausamkeiten gegen Gruppen von Personen aufgrund ihrer politischen, religiösen, ethnischen oder kulturellen  Zugehörigkeit. Die systematische und gezielte Verfolgung der Eziden als religiöse Minderheit ist eindeutig. Die Eziden werden aufgrund ihrer Religion als Gruppe verfolgt und sind immer noch Massenexekutionen, Versklavungen, Gräueltaten gegen die Menschlichkeit, körperlichen und geistigen Misshandlungen, gewaltsamen Vertreibungen, Folter, Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Zudem findet eine systematische Zerstörung ihres religiösen und kulturellen Erbes durch die Terrormiliz statt.
Trotz der Empfehlung der UN-Menschenrechtskommision zur Aufnahme von Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs für Menschenrechtsverstöße gegen die Eziden wurden  die Untersuchungen  noch nicht eingeleitet, weil der Irak kein Unterzeichner der Römischen Statuten ist. Zudem hat die irakische Regierung kein Interesse,  den Strafgerichtshof mit einer Untersuchung zu beauftragen . Gründe dafür sind die eigene gewalttätige Geschichte und die Möglichkeit einer zukünftigen Rechenschaftspflicht gegenüber dem  ezidischen Volk.

Literatur:

[1] Human Right Watch Report on Iraq: Forced Marriage, Conversion for Yezidis; Published on October 12, 2014

[2] Dabiq Magazine – Issue 4, Article: The rivival of slavery before the hour (Site 14-17)

[3] Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the human rights situation in Iraq in the light of abuses committed by the so-called Islamic State in Iraq and the Levant and associated groups, Published on March, 19th 2015

[4] Human Right Watch Report on Iraq: ISIS Escapees Describe Systematic Rape; Published on April 15, 2015